Marc Fumaroli: ein Porträt – 09.11.2001

Frankreich

Marc Fumaroli

Balzan Preis 2001 für Literaturgeschichte und -kritik ab 1500

Für seine Forschungen zur Rhetorik des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts, durch die er unser Verständnis der europäischen Kultur auf den Gebieten der Literatur, der Malerei und des Lebensstils grundlegend erneuert hat.


Marc Fumaroli wurde 1932 in Marseille geboren und gilt seit mehr als zwanzig Jahren als dominierende Forschungspersönlichkeit in allen die Literatur der französischen Klassik betreffenden Bereichen. Seit 1986 ist er Professor am Collège de France und 1995 wurde er als Nachfolger von Eugène Ionesco in die Académie Française gewählt. 

Die Publikation seiner 1976 an der Pariser Sorbonne vorgelegten Habilitationsschrift „L’age de l’éloquence“ bedeutete für die literaturwissenschaftliche Forschung über das 17. Jahrhundert eine Wende. Das System der antiken Rhetorik in seiner Weiterentwicklung durch den italienischen und französischen Humanismus bildete von nun an neu für viele Forscher das verbindliche Interpretationsraster für die französische Literatur von der Renaissance bis zum Ende des klassischen Jahrhunderts. In dieser Neuerung liegt auch die Begründung für Fumarolis Nominierung durch das Balzan-Preiskomitee. So begründete das Gremium seinen Entschluss wie folgt: „Für seine Forschungen zur Rhetorik des 16. bis 18. Jahrhunderts, durch die er unser Verständnis der europäischen Kultur auf den Gebieten der Literatur, der Malerei und des Lebensstils grundlegend erneuert hat.“ Kurz: Fumaroli zeigt auf, wie die Kunst, durch Worte zu gefallen, zu lehren und zu berühren, einen Einfluss auf die Bereiche Literatur und bildende Künste hatte und hat.

Im Mittelpunkt der jüngsten Werke von Marc Fumaroli steht nicht nur die Krise, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts das kulturelle Fundament erschütterte (die so genannte „Querelle des anciens et des modernes“), sondern auch die politische Krise, die zum Fall des Ancien Régime führte. Dieser entscheidende Augenblick bildet den Hintergrund für ein Buch über Chateaubriand, das demnächst erscheinen wird. Fumaroli ist ausserdem Begründer und Herausgeber der monumentalen und aktuellen „Histoire de la rhétorique dans l’Europe moderne, 1450-1950“, die dieses Jahr veröffentlicht wurde. Es handelt sich um ein Werk von mehr als 1500 Seiten, das sich mit dem Wissen von 24 Gelehrten aus ganz Europa befasst.

Die Liste seiner Publikationen ist lang. Einerseits schreibt er regelmässig Artikel im „Le Monde“ und „Le Figaro“ sowie in führenden Zeitungen Italiens, anderseits verfasst er regelmässig Bücher. 1990 veröffentlichte er „Héros et orateurs“, ein Buch, das vom Theaterwerk Pierre Corneilles handelt. Vier Jahre später erschien „La Diplomatie de l’esprit“, das Studiensammlungen von Montaigne bis Charles Perrault enthält. In „Le poète et le roi. Jean de La Fontaine en son siècle“ (1997) zeigt Fumaroli den Konflikt eines Freigeistes mit den Prinzipien der neuen, absolutistischen Monarchie auf. 

Marc Fumaroli gilt aber auch als lebhafter und provokativer Polemiker, seit er in „L’Etat culturel“ (1991) den Staat als „Stern, der die Kultur leitet“ und die Kultur als „moderne Religion“ kritisiert hat. Kritisch äusserte sich Fumaroli kürzlich auch zu den Risiken Europas bei einer Übernahme von Lehrmodellen nach amerikanischem Vorbild oder etwa im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten rund um Sartre – einem Denker, der sich immer gegen den Strom bewegt habe. 

In der Vergangenheit verliehene Balzan-Preise für Literaturgeschichte und -kritik
Marc Fumaroli ist der fünfte Balzan-Preisträger aus dem Bereich der Literaturkritik. „Die Nichtverleihung des Nobelpreises ist ein Beweis für die Weisheit der Skandinavier, der Balzan-Preis hingegen ein Beweis für die italienische Grosszügigkeit“, so die geistreiche Bemerkung von Jorge Luis Borges 1980 bei der Verleihung des ersten Balzan-Preises für Literaturkritik. In der Folge hat die Stiftung die literarische Reflexion sporadisch mit Preisen bedacht und in ihrer Wahl stets auf die Pluralität der Betrachtungsweisen geachtet. 1984 wurde Jean Starobinski für seine rigorosen Stilanalysen ausgezeichnet, vier Jahre später René Etiemble für seine vergleichenden Studien über Texte aus verschiedenen Sprach- und Kulturräumen und 1992 Giovanni Macchia für die Untersuchung literarischer Themen und ihrer Entwicklung.

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