USA/Frankreich

Stanley Hoffmann

Balzan Preis 1996 für Politische Wissenschaften: aktuelle internationale Beziehungen

Für Stanley Hoffmann, durch den die Politischen Wissenschaften zu einem Fach der Zusammenhänge geworden sind und der in seiner Lehrtätigkeit und in seinen Veröffentlichungen die aktuellen internationalen Beziehungen umfassend dargestellt hat.

Stanley Hoffmann wurde am 27. November 1928 in Wien geboren (†2015). Seine österreichische Mutter geht 1929 mit ihm nach Frankreich, wo beide – zunächst in Nizza, dann in Paris – unter ständiger Bedrohung der Besetzung Frankreichs durch Hitlers Truppen 1945 das Kriegsende erleben. Nichtsdestoweniger legt er 1945 das Abitur ab und beginnt sein Studium in Paris. Er studiert gleichzeitig Politische Wissenschaften (Abschlüsse 1948 am Institut d’Etudes Politiques und 1950 am Institut de Hautes Etudes Internationales) und Rechtswissenschaften (Staatsexamen der juristischen Fakultät 1948, Promotion 1953). Ausserdem erwirbt er 1952 einen MA in Government an der Harvard University. 1952-1953 und 1955 ist er Zweiter Sekretar der Association Française de Science Politique. Das Jahr 1955 bezeichnet auch seinen Eintritt als Instructor in Harvard und den Beginn einer glanzenden akademischen Karriere: Bereits ab 1963 lehrt er Government, von 1969 bis 1995 ist er Direktor des Center for European Studies und ab 1980 ist er Inhaber des Douglas Dillon Chair of the Civilization of France. Unter dieser Bezeichnung erhalt er einen Ruf der Pariser Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, um dort im akademischen Jahr 1983-84 Civilisation américaine zu lehren.

Stanley Hoffmann hat nie seine Verbindung zu Frankreich verloren. “Ich verdanke den französischen Schulen und Universitäten alles, was ich heute bin. Meine Schul-und Studienjahre wurden durch viele grosszügige und aufmerksame Lehrer erhellt. Ich werde nie in der Lage sein, das zurückzuerstatten, was mir ihre Herzlichkeit und Gute gegeben haben. Meine engsten Freundschaften habe ich in Frankreich, und auch die Landschaft dieses Landes hat mich tief geprägt”.

Aber wie eng auch immer sein Verhätnis zu Frankreich sein mag, sein Horizont überschreitet die Grenzen des Atlantiks. In seiner ersten Veröffentlichung mit dem Titel Organisations internationales et pouvoirs politiques des Etats (1954) beschreibt Hoffmann den Bereich, in dem er seine Studien über die aktuellen internationalen Beziehungen durchführt. The State of War, Raymond Aron gewidmet, präsentiert 1965 seine Auffassung von Theorie und Praxis der internationalen Politik, wie er sie schon in einem Artikel in der Revue française de science politique beschrieben hatte. Stanley Hoffmann definiert auf diesen Seiten seine Position, die er von da ab in der theoretischen Debatte einnehmen wird. Er möchte sich von keiner Schule vereinnahmen lassen und noch weniger akzeptiert er irgendwelche Grenzen. Er bevorzugt die empirische Methode, ohne einen visionären Blick aufgrund der deduktiven Methode ganz auszuschliessen. Er mochte ganz frei sein, um seinen Blick über das Beobachtungsfeld, das er vor sich findet, schweifen zu lassen. Nicht zufällig, sondern aus dem Geist intellektuellen Wagemuts veröffentlicht er 1968 auf englisch und 1971 auf französisch einen Text wie Gulliver empêtré, der in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit auf den Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion gerichtet ist, “die Illusion der Weltherrschaft” in Frage stellt und dadurch eine Debatte über die Struktur und Dynamik der aktuellen internationalen Beziehungen eröffnet, die die Politologen trifft, die auf der Suche nach einer dem Bipolarismus verpflichteten Theorie der Systeme sind.

Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Handlungsträger der internationalen Beziehungen, ganz gleich auf welcher Ebene. “Was mich am meisten interessiert”, so schreibt Hoffmann in Ideas and Ideals, einem vielzitierten Text, “ist herauszufinden, warum sich Individuen und Gruppen so und nicht anders verhalten haben, was sie beabsichtigen und was sie bewirken, wie Interessen und Institutionen von Vorsteilungen beeinflusst werden und wie Institutionen die bürgerliche Gesellschaft formen”.

Stanley Hoffmanns Neugier kennt keine Grenzen. Er beobachtet die von ihm ins Auge gefassten Gesellschaften unter den ungewöhnlichsten Blickwinkeln, ihre regionalen oder globalen Beziehungen, analysiert scharf bedeutende und weniger bedeutende Politiker und findet die Ausdrücke, die sie charakterisieren. General de Gaulle ist nicht nur der Held, sondern auch der “Künstler” der Politik. Das Kapitel, in dem er de Gaulle und sein Verhältnis zur Welt darstellt, trägt den Untertitel: “Die Bühne und die Vorstellung”.

Stanley Hoffmann ist seinerseits ebenfalls ein Künstler der Mäeutik. In einer Zeit, in der sich die Auseinandersetzungen häufen, pflegt er den Dialog – mit seinen Studenten, mit den Zuhörern seiner Vorträge und mit den Lesern seiner Aufsätze, die er in Zeitschriften veröffentlicht, welche an eine Leserschaft gerichtet ist, deren Meinung zählt. Mit seinen Lesern führt er einen ständigen Dialog, der in der Veröffentlichung von Büchern mit seinen Aufsätzen gipfelt: Essais sur la France (1974), das 18 Texte aus 18 Jahren umfasst, The European Sisyphus (1995), Duties beyond Borders: On the Limits and Possibilities of Ethical International Politics, eine Anthologie seiner Vortràge aus dem Jahre 1980.

Wenn man Hoffmanns Gedankengang anhand seiner Veröffentlichungen verfolgt, stellt man eine zunehmende Vertiefung seiner Oberlegungen zu Ethik und zur Rolle der kulturellen Werte fest, und das in einer Zeit, in der die Führung des Gemeinwesens nicht nur von denjenigen ausgeht, die die politische Macht besitzen, sondern von den Beziehungen zwischen Gesellschaften, die immer enger miteinander verbunden sind.

Die zahlreichen öffentlichen Ehrungen, die Stanley Hoffmann im Laufe seiner Karriere erhalten hat, beweisen den ausserordentlichen Einfluss eines bedeutenden Hochschullehrers und einer Methode, die Jahr für Jahr das Gebiet der Studien über die aktuellen internationalen Beziehungen vertieft und erneuert.

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