Chinesische Schrift: Faszination in 70.000 Zeichen – Interview 22.09.2010 (allemand)

Allemagne

Lothar Ledderose

Prix Balzan 2005 pour l'histoire de l’art de l’Asie

Pour ses travaux remarquables consacrés à l’histoire de l’art chinois et japonais et pour ses idées novatrices qui ont contribué à renouveler l’interprétation de l’art de ces pays et à développer une vision moderne de son rôle dans l’art universel.

Chinesische Schrift – Faszination in 70.000 Zeichen

Interview mit Lothar Ledderose
www.balzan.org 22 séptembre 2010


Der Balzan Preis für Kunstgeschichte Asiens 2005 trägt maßgeblich dazu bei, das Reich der Mitte zumindest kulturell ein Stück in das europäische Abendland zu verlagern. Denn mit dem Prestige und der finanziellen Unterstützung des Balzan Preises setzte der Preisträger, Kunsthistoriker und Ostasien-Experte Prof. Dr. Lothar Ledderose, zwei bedeutende Projekte um, die zwischen den Kulturen vermitteln. Neben einem Kolloquium zur Förderung junger Wissenschaftler war dies die Organisation der Ausstellung « Das Herz der Erleuchtung – Buddhistische Kunst in China 550-600 » von Oktober 2009 bis Jänner 2010 im Museum der Ostasiatischen Kunst in Köln. Damit ist es Prof. Ledderose gelungen, sein Herzensanliegen zu verwirklichen: die ostasiatische Kunstgeschichte auch einem Laienpublikum zugänglich und verständlich zu machen. So entführte er die Ausstellungs-Besucher auf Berge in der chinesischen Provinz Shandong, wo sie 2000 Quadratmeter große Felsen bestaunen konnten, auf die Mönche aus Angst vor einem Weltuntergang enorme Schriftzeichen eingemeißelt hatten. Die Internationale Balzan Stiftung sprach mit dem Preisträger über seine Forschungsdisziplin, die Bedeutung der chinesischen Schrift für die Wirtschaftsmacht Chinas und seinen Einsatz für die Förderung junger Wissenschaftler.

Mit dem Preis der Internationalen Balzan Stiftung konnten Sie zwei Projekte verwirklichen. Das erste betrifft die Ausstellung in Köln. Womit hat diese sich befasst?
Bei dieser Ausstellung haben wir die Besucher zu einigen der kulturhistorisch bedeutsamsten Monumenten Chinas in der Zeit vom 6. bis 8. Jahrhundert nach Christus mitgenommen. Über mehrere Provinzen verteilt gibt es dort enorme Felsplatten, die von Mönchen mühevoll über Generationen hinweg beschriftet worden waren. Die eingemeißelten Texte sind bis zu 2000 Quadratmeter groß, ein Schriftzeichen mehr als einen halben Meter hoch. Sie stehen dort mitten in der Landschaft – eigentlich ist das moderne « Land Art ». Zuerst haben wir Schriften aus dem 6. Jahrhundert in der östlichen Provinz Shandong studiert, jetzt untersuchen wir in den Fels gehauene Kulthöhlen im Südwesten des Landes, in Sichuan. Diese sind zwar kleiner als die vorangegangenen, aber von enormem Zeichenumfang. Inhalt der Texte sind in beiden Fällen buddhistische Sutren und andere Lehrtexte.

Wie sind diese Inschriften entstanden und welche Motivation steckte dahinter?
Zum Glück wurden neben den eigentlichen Inschriften oft Begleittexte –  also « Kolophone » – in die Felsen eingemeißelt. Sie verraten viel über die Verfasser, das Entstehungsdatum und die Gründe für diese enorme Arbeit. So wissen wir, dass buddhistische Mönche über Generationen hinweg versuchten, das für sie Kostbarste, nämlich die Texte, für eine Welt nach ihrem Untergang zu erhalten. Die Buddhisten glauben nicht, dass der Weltuntergang etwas Endgültiges ist. Sie gehen davon aus, dass es einer auserwählten Elite gelingt, das Ereignis zu überleben. Für jene Überlebenden wollten sie die Texte konservieren. Ihrer Ansicht nach hätte der Weltuntergang um 553 beginnen sollen. Doch die Mönche meißelten auch noch im 8. Jahrhundert. Mit der Zeit hatten sich ihre Motive verändert. Zum einen gab es die Vorstellung, die Tat an sich hätte bereits positive Auswirkungen auf den Verfasser und seine Nachkommen bis zur siebten Generation. So wurden viele Personen – auch viele Frauen – zu Stiftern der Steininschriften, weil sie hofften, dadurch die Erleuchtung zu erreichen. Zum anderen gab es aber auch politische Gründe. In dieser Zeit kam es immer wieder zu Buddhistenverfolgungen. Mit den riesigen Felsbrocken in der Landschaft setzte man Zeichen dafür, dass Buddha das Land beschützt.

Sie haben ja auch die abendländische Kunstgeschichte studiert. Können Sie vielleicht in Hinblick auf diese Studie Ähnlichkeiten zwischen den beiden Kulturen entdecken?
Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten, als man gemeinhin glaubt! Ich persönlich nutze das, was ich von der europäischen Kunstgeschichte kenne, um meine Forschungsgegenstände in Asien einzuordnen und zu verstehen. Dieser Fundus kam mir zum Beispiel zugute, als ich Felsplatten auf einem Berg in China analysierte. Die Inschriften beschrieben, wie Buddha auf einem indischen Berg predigte. Die Felsen in China waren so angeordnet, dass man beim Hinaufwandern ein immer klareres Bild bekam, wie der Berg in Indien damals aussah. Die Inschriften erzählten von einem lauen Wind, von der Stille, dem Zwitschern der Vögel. Und plötzlich stellt der gläubige Pilger fest, dass dieser Ort in Indien wohl genauso beschaffen sein musste, wie der Berg mit den Inschriften, auf dem er gerade stand. Eine derartige örtliche Übertragung kennt man auch bei uns. So stellen die Kreuzwege auf Hügeln ja auch die schmerzvolle Wanderung von Jesus auf den Kalvarienberg in Stationen dar. Das Schaffen einer Replik, eine « translatio loci », gibt es in beiden Kulturen.

Bei Ihren Forschungen – genau wie bei den Studien der buddhistischen Sutren in Felsen – spezialisieren Sie sich vor allem auf die chinesische Schrift. Wo sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Schrift und der boomenden chinesischen Wirtschaft?
Zum Vergleich: Unsere Schrift besteht aus 26 Buchstaben. In der chinesischen Schrift sind mittlerweile 70.000 Zeichen dokumentiert, 2.000 benötigt man im Alltag. Die Schüler müssen unendlich viel Zeit, Disziplin und Mühe aufwenden, um diese 2.000 Zeichen zu lernen. Ich bin überzeugt davon, dass auch darin die wirtschaftliche Stärke des Landes begründet ist. Die Chinesen sind allein durch das Lernen der Schrift darauf geschult, diszipliniert zu arbeiten und in großen Dimensionen zu denken. Das ist einer der Gründe für ihre enorme logistische Stärke, große Mengen von Menschen, Materialien und Arbeit zu organisieren.

Sie haben sich auch auf die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern konzentriert. Genau für jenen Zweck gab es neben der Ausstellung noch ein zweites Projekt. 
Mit dem hochdotierten Balzan Preis verfolgt die Internationale Balzan Stiftung ja auch das Ziel, talentierte Nachwuchswissenschaftler zu fördern. Ein Ziel, zu dessen Erreichung ich dank des Balzan Preises für Kunstgeschichte Asiens einen Beitrag leisten kann. Die Entzifferung der buddhistischen Steinschriften bietet bereits viele Möglichkeiten, junge Forscher nach vorne zu bringen. Zusätzlich veranstalten wir mit den Geldern des Balzan Preises bald das dritte Internationale Kolloquium für ostasiatische Kunstgeschichte in Heidelberg. Gemeinsam mit Kollegen aus Oxford wählen wir Doktoranden aus, die im Kolloquium über ihre Dissertation sprechen. Wir diskutieren und kommentieren diese Arbeiten, aber auch ganz allgemeine Fragen wie die Zukunft der Forschungsdisziplin.
 
Wie wichtig war der Erhalt des Balzan Preises für Ihre Forschungsdisziplin? 
China wird immer wichtiger und die Menschen in Europa werden auch offener für diese Kultur. Das zeigt sich schon durch Trends wie die Tätowierung von chinesischen Schriftzeichen – wie auch immer man zu Tattoos steht. Mir ist es ein großes Anliegen, bei Laien Interesse und Verständnis für die Kunst Ostasiens und für die Menschen dort zu wecken. Der Balzan Preis hat genau dies ermöglicht, durch die finanziellen Mittel und durch die öffentliche Aufmerksamkeit der Preisverleihung. Ich bin der Internationalen Balzan Stiftung für die finanzielle und moralische Unterstützung sehr dankbar. Neben der durchdachten Auswahl der Preisträger beeindruckt mich vor allem das Vertrauen, das ihnen entgegen gebracht wird, dass diese mit den anvertrauten Mitteln ihre Forschungsdisziplin klug voranbringen werden.
 
PR&D

Wien

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