Grossbritannien

Martin Litchfield West

Balzan Preis 2000 für Klassische Altertumskunde

Für seine meisterhaften Editionen und Erklärungen griechischer Dictung von Homer bis zur attischen Tragödie sowie für seine bahnbrechenden Untersuchungen zu den immer schon vermuteten und zugleich heftig umstrittenen Beziehungen zwischen Griechenland und dem Alten Orient.

Geb. 1937 (†2015), Senior Research Fellow am All Souls College, an der Universität Oxford.

Martin West handhabt das spröde Geschäft des Edierens und Kommentierens von Texten, die in der handschriftlichen Ueberlieferung schwere, zum Teil unheilbare Schäden erlitten haben, mit ebenso grosser Virtuosität wie Produktivität. Die Fachwelt verdankt ihm neue Ausgaben der Lehrgedichte Hesiods, grosse Teile der fragmentarisch überlieferten kleinen Gattungen (der Elegien und Jamben), der Tragödien Aischylos und der Ilias. Er beherrscht das Handwerk des Edierens – das Sammeln und Ordnen der Codices, die Heilung korrupter und die Erläuterung schwieriger Einzelstellen durch Parallelen aus anderen Zusammenhängen – wie kaum ein zweiter: dank seiner stupenden Belesenheit und seines immer wieder zu überraschenden Lösungen führenden Kombinationsvermögens. Auf den Editionen baut die Tätigkeit des Kommentators West auf, sei es in den Text begleitenden Erläuterungen, sei es in separat veröffentlichten Sammlungen von Studien. Wests Kommentare zur „Theogonie“ und zu den „Werken und Tagen“ Hesiods (7. Jahrhundert v.Chr.) zeichnen sich durch Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Vielfalt der Perspektiven aus; sie sind auf Anhieb zu unentbehrlichen Standardwerken jeglicher Beschäftigung mit altgriechischer Dichtung geworden. Geradezu revolutionär war die Einbeziehung erst seit jüngster Zeit zugänglicher altorientalischer Quellen; den „Werken und Tagen“ gibt die musterhafte Zusammenstellung von Weisheitsliteratur sumerischer, akkadischer, ägyptischer und alttestamentlicher Provenienz ein höchst eigentümliches Gepräge.

Zum Text des Aischylos, des schwierigsten unter den griechischen Klassikern, verfasste West vorzügliche Untersuchungen grammatischer und orthographischer Fragen. Sein Buch über die orphischen Dichtungen verbindet souveräne Materialbeherrschung mit dem kräftig zupackendenWillen, einen „bodenlosen Morast“ der Ueberlieferung passierbar zu machen.

Bei Neufunden von Papyri steht West stets bereit, den bestmöglichen Gebrauch davon zu machen. Seine Ilias-Ausgabe vermeldet eine Fülle von Textvarianten, die sich in diesem Material dingfest machen lassen. Ein in der Fachwelt berühmter Kölner Papyrus wurde durch seinen kombinatorischen Scharfsinn als Werk des eigenwilligen frühgriechischen Dichters Archilochos erwiesen.

Wenn schon der ebenso strenge wie mutige Textkritiker West volles Lob verdient, dann haben seine Brückenschläge in dem alten Orient desto mehr Anspruch auf Anerkennung. Unser Wissen von den alten Kulturen Klein- und Vorderasiens hat im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich zugenommen.
West zog daraus die Konsequenzen; er erlernte das Hebräische, das Akkadische und das Hethitische und las in diesen Sprachen verfasste Texte, um eine seit den Tagen der Romantik umkämpfte Frage lösen zu helfen: ob die Griechen ihre Kultur wirklich, wie vielfach behauptet, beinahe aus dem Nichts hervorgebracht hätten oder ob in vor- und frühschriftlicher Zeit breite Ströme östlicher Einflüsse zu ihnen gelangt seien. West hat – über seine ersten Versuche in den Hesiod-Kommentaren hinaus – in zwei Büchern Rechenschaft von seinen diesbezüglichen Forschungen abgelegt: Early Greek Philosophy and the Orient, 1971; The East Fase of Helicon – West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, 1997

Zumal das zweite Werk hat durch eine Fülle von motivischen und stilistischen Parallelen einen Einblick von bisher unerreichter Evidenz in ein dunkles, von Hypothesen überwuchertes Gebiet verschafft; er hat hiermit ein breites Fundament gelegt, auf dem künftige Forschung wird weiterbauen können.

Mit den beiden hier umrissenen Hauptgebieten sind die Weiten, die Wests forschende Tätigkeit bislang durchmessen hat, noch keineswegs erschöpft. Besondere Hervorhebung verdient jedenfalls sein umfängliches Werk über die griechische Musik, das diese äusserst schwierige Materie in allen ihren Aspekten mit gewohnter Souveränität umfasst.

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