Italien und USA

Giorgio Buccellati und Marilyn Kelly-Buccellati

Balzan Preis 2021 für Vorderasiatische Kunst und Archäologie

Für ihre erfolgreichen Studien zur hurritischen Kultur und für die Aufdeckung der Bedeutung dieser Kultur als Begründerin einer großen städtischen Zivilisation, die im dritten Jahrtausend v. Chr. zu den blühendsten im Antiken Nahen Osten zählte; für die Förderung des Digitalkonzepts im Studium der Archäologie; für die Pflege theoretischer Ansätze in diesem Bereich.

Die persönliche und wissenschaftliche Partnerschaft von Giorgio Buccellati und Marilyn Kelly-Buccellati in Syrien erstreckt sich über ungefähr fünf Jahrzehnte. Ihre ersten Grabungen betrafen in den Jahren 1976 bis 1986 die Stadt Terqa, das Hauptzentrum einer Provinz des Reichs Mari und später Hauptstadt des Reichs von Khana. Die Ausgrabungen brachten einen Tempel, ein groβes Befestigungssystem und einige private Wohnviertel an den Tag. Das Interesse der beiden Wissenschaftler verlagerte sich danach auf Tell Mozan, das antike Urkesh, das bereits in den 1930er-Jahren von Sir Max Mallowan mehrmals in Augenschein genommen worden war. Die in der Nähe des Taurusgebirges im Nordosten Syriens gelegene und im vierten Jahrtausend v. Chr. gegründete Stadt war das Zentrum des Volkes der Hurriter. Unser Wissen über die Hurriter beschränkte sich früher auf mythologische Erzählungen und auf wenige Gegenstände unklarer Herkunft. Die von den beiden Wissenschaftlern gemeinsam geleiteten Ausgrabungen zeigten jedoch, dass dieses Volk vor ungefähr 5000 Jahren eine wichtige städtische Zivilisation hervorgebracht hatte, die zu den blühendsten im Antiken Nahen Osten gezählt werden kann. Hunderte von Siegelabdrücken, die bei den Ausgrabungen ans Licht gekommen sind, dokumentieren das Leben und die Traditionen der königlichen Familie und liefern wertvolle Informationen über die Geschichte der Grabungsstätte. Die monumentalen Bauten, die freigelegt wurden, umfassen unter anderem einen Palast, einen Tempel, einen offenen Platz und eine tiefliegende unterirdische Struktur, die religiösen Riten diente. Die Ergebnisse der Ausgrabungskampagnen wurden vom Wissenschaftlerpaar sorgfältig detailliert veröffentlicht, angefangen mit dem ersten Bericht, Mozan 1. The Soundings of the First Two Seasons, Malibu, 1988.

Giorgio Buccellatis und Marilyn Kelly-Buccellatis Werk ist nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Bedeutung herausragend, sondern verdient auch deswegen Bewunderung, weil es durch die aktive Einbeziehung der örtlichen Bevölkerung bewahrt werden konnte. Eine breit gestreute kulturelle Bildungsarbeit und die Teilhabe an den Konservierungsarbeiten wurden auf die jüngeren Generationen der örtlichen Bevölkerung ausgedehnt. Giorgio Buccellati hat auch neue reversible Techniken zur Schutzabdeckung der Grabungsstätte erfunden, die nicht nur den Zugang zu den Funden – ohne sie zu beschädigen – und ebenso deren Verständnis erleichtern, sondern auch die komplexen Schichtenfolgen besser ans Licht bringen. Die Probleme, die sich für die Bewahrung der Stätten im Laufe des Syrienkriegs ergaben, erläutert Giorgio Buccellati in seinem Buch I millenni per l’oggi. L’archeologia contro la guerra: Urkesh di ieri nella Siria di oggi, Florenz, 2018 (2019 die Übersetzung ins Arabische und Englische).

Als Wegbereiter auf dem Gebiet der digitalen Archäologie waren Giorgio und Marilyn Buccellati unter den Ersten, die ab Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts die weitreichenden theoretischen und intellektuellen Auswirkungen der Computertechnik für die Modellierung archäologischer Informationen erkannten. Diese theoretischen Überlegungen, die vor allem in den Jahren der Feldforschung heranreiften, gipfelten schließlich in Giorgio Buccellatis Werk A Critique of Archaeological Reason. Structural, Digital, and Philosophical Aspects of the Excavated Record, Cambridge, 2017. Dank seines außerordentlichen Wissens und seiner profunden philosophischen Bildung behandelt der Autor eine Vielzahl theoretischer Aspekte und gelangt zu dem suggestiven und fruchtbaren Begriff der „Archäologischen Vernunft“, der auch außerhalb des Antiken Nahen Ostens tätige Archäologen beeinflusst hat.

Generell zeichnet sich der Ansatz der beiden Wissenschaftler durch ihre Zuversicht aus, in der fernen Vergangenheit von Urkesh den Schlüssel zum Verständnis der heutigen politischen Formen zu finden. „Die Ursprünge der Politik“, so Giorgio Buccellati, „leben noch immer unter uns (…) und der spezielle Fall von Urkesh stellt sich uns wie ein großartiges Laboratorium für die Beispielhaftigkeit seiner Geschichte dar“ (vgl. das Buch Alle origini della politica. La formazione e la crescita dello stato in Siro-Mesopotamia. Mailand, 2013). Derselbe Standpunkt hat auch auf das Studium der Sprachen Anwendung gefunden (wenige Wissenschaftler sind in der Lage, die linguistischen und archäologischen Aspekte wie Giorgio Buccellati zu beherrschen). Seine Interpretation der strukturellen babylonischen Grammatik (A Structural Grammar of Babylonian, Wiesbaden, 1996) hat Phänomene aufgezeigt, die es ermöglichen, diese Sprache nicht als tot, sondern als in ihrer organischen Struktur lebendig einzuordnen.

Giorgio Buccellati und Marilyn Kelly-Buccellati führten ihre Forschungsarbeiten hauptsächlich in enger Zusammenarbeit durch. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, parallel dazu ihren eigenen spezifischen Fachinteressen nachzugehen. Marilyn hat sich insbesondere dem Studium der Glyptik gewidmet, wobei sie sich vor allem auf die zahlreichen Funde aus Tell Mozan und auf die Architektur dieser Stätte stützte. Nach der kriegsbedingten Unterbrechung der Ausgrabungen in Tell Mozan hat sie kürzlich die zu Beginn ihrer Laufbahn begonnenen Studien (mit einer Dissertation über den Kaukasus im 3. Jahrtausend v. Chr.) mit einer Beteiligung an einer italienischen Expedition in der Republik Georgien wieder aufgenommen. Der Katalog der von ihr kuratierten Ausstellung Georgia. Paese d’oro e di fede. Identità e alterità nella storia di un popolo, Florenz, 2016, ist eines der Ergebnisse dieser Tätigkeit.

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